xplore04-Flügel und Fesseln von Rüdiger Schaper (DER TAGESSPIEGEL, 23.08.2004)
Eine Abregung von Rüdiger Schaper
Hier riecht es nach Skandal. Verschwendung öffentlicher Mittel! Pornografie! Und das auch noch im Sommerloch!
Felix Ruckert, Berliner Tänzer und Choreograf, gehört zu den eher Glücklichen der Freien Szene.
Für
zwei Jahre hat ihm eine unabhängige Jury eine so genannte
Basisförderung zugesprochen – 100 000 Euro. Jeder bewegte und
bewegende Künstler kann das bei der Kulturverwaltung beantragen,
wenn er gewisse künstlerische Leistungen vorzuweisen hat und seine
künftigen Projekte interessant darzustellen versteht. Die meisten
Bittsteller – man kann es sich denken – gehen bei dieser
intellektuellen Lotterie leer aus
Wer niemals in der Jury saß, wer nie die kummervollen Nächte
auf seinem Bette weinend saß... Eine Strafarbeit: Talente und
Fördermittel miteinander auszubalancieren. Nicht minder schwierig
und schmerzhaft nachher die Bewertung der Ergebnisse: Was haben die
geförderten Künstler um Himmels willen mit dem Geld
angestellt? Nun, im Fall von Felix Ruckert, könnte eine dünne
rote Linie überschritten worden sein. Ende Juli lud der
Künstler ins Tanzstudio Dock 11 zu einem Wochenende mit Workshops
zur „Kunst der Lust“, unter dem Motto: „Xplore04. Extreme Sinnlichkeit
– sinnliche Extreme.“ Es wurden beispielsweise angeboten:
Orgasmusschulen, Einführungen in die Kunst des Fesselns und
Peitschens und der Nadelstiche, ein Workshop nannte sich (nur für
Frauen!) „Die köstliche Vulva“, ein anderer „Anales Vergnügen
für Anfänger“.
Tanzszene und Workshop-Wesen gehörten schon immer zusammen wie
Henne und Ei. Man weiß nie, was zuerst da war. Das Problem bei
Felix Ruckert liegt nicht in der Gleichsetzung von Tanz und Körper
mit Sex und Lust (nichts dagegen!). Vielmehr scheint er Senatsmittel
(es soll sich um 10 000 Euro handeln) für eine kommerzielle
esoterische Session mit Tantra-Gurus und internationalen
G-Punkt-Spezialisten benutzt zu haben. Jetzt muss er der
Kulturverwaltung den kleinen Unterschied erklären, weil sich die
Boulevardpresse und Oppositionspolitiker mächtig über die
Geschichte erregt haben.
Aber alles halb so wild. Die Mittel für Freie Gruppen sind schon
für viel bizarrere Dinge abgezweigt worden. Für Hundefutter
zum Beispiel: Es gab da mal eine Theatergruppe, die zum Großteil
aus Vierbeinern bestand. Oder einen Regisseur, der mit dem
Fördergeld in eine offene psychiatrische Anstalt nach Italien
verschwand. Oder jene stramm stalinistischen Polittheatermacher, die
Aufführungszahlen zinkten und Premieren ausfallen ließen, um
ihre Wohnungsmiete zu bezahlen. Aber das ist lange her. Und Ruckerts
Pech. Früher hieß es: Hassemer ’ne Mark? Und das bedeutete,
dass Geld eigentlich keine Rolle spielte. Heute, in der Hartz-Zeit,
sind besonders die Freien Künstler von der Arbeitsmarktreform
betroffen. Sex sells. Der Spruch geht hier nach hinten los.