Bericht - xplore Berlin 2014

 

DIE GEHEIMNISVOLLE XPLORE 

Bericht von Liis, einer forschenden Anthropologin

 

Ich liege auf dem Rücken, auf meinem Handtuch. Die heiße Sommersonne reflektiert sich in den Wassertropfen auf meinem nackten Körper. Ich und ein paar andere haben sich gerade mittels eines Schlauchs abgekühlt,  auf der Terrasse der schwelle7. Neben mir ein schöner, freigeistiger Fesselexperte mit einem wahrhaft perfekten Hintern. Leute liegen um uns herum, meistens nackt, lachend, einander mit Wasser besprühend. Manche üben nacktes AcroYoga oder was auch immer. Wir schauen uns um, dann uns an - und müssen laut lachen. Später taucht der Gedanke auf: das ist das Paradies. Und jetzt überlege ich daß Bosch’s berühmtes Meisterwerk “Der Garten irdischer Freuden” vielleicht ein noch besseres Bild wäre. Aber, um genau zu sein, die Verbindung zu solchen Gärten kann nur hergestellt werden wenn wir uns das Ganze gleichzeitig in einer Berliner Stadtlandschaft vorstellen. Denn die Ähnlichkeit wird weniger transportiert von dem was wir sehen, sondern wie und was wir hier in diesem “Garten” fühlen: Eine bestimmte Stimmung oder  Schwingung in der Luft – es ist ein Gefühl von Freude, Akzeptanz und Befreiung. Es herrscht eine sorglose, spielerische Athmosphäre und die Menschen hier lassen mich an Kinder denken.

Ich erwähne diesen Moment denn im Nachhinein repräsentiert er für mich einen charakteristischen Aspekt von xplore, dem alljährlichen BDSM Festival zu sexueller, körperlicher und geistiger Forschung.  Dieses Drei-Tage-Event ist eine Kombination verschiedener Workshops die sowohl herausfordern, informieren oder auch einfach nur körperlich und geistig stimulieren sollen. Doch das Festival besteht eindeutig nicht nur aus den workshops, es ist vielmehr eine ganzheitliche Erfahrung, in der gerade die Pausen, die Augenblicke “dazwischen” (Plaudern auf der Terrasse, sich Streicheln vor oder nach einem Workshop, Flirten am späten Abend…) wichtig sind. Am Festival teilzunehmen bedeutet eine Reise  nach Innen, aber zugleich auch eine Erforschung der Andern und des Anderen: Menschen die sich begegnen und mit Körpern und Zungen interagieren. Alte Freunde treffen und neue Bekanntschaften machen. Verbindung entsteht, persönliche Grenzen werden erweitert, Vorurteile abgebaut. Auch die Rolle des Veranstaltungsortes ist nicht zu unterschätzen – die Kunsträume  von Schwelle7 bieten die nötige Freiheit und Annehmlichkeit für solcherlei Recherche. Es entsteht eine intime und kreative Synergie zwischen den Teilnehmern, den Dozenten und dem Ort.

 Für die diesjährige xplore Ausgabe entschieden sich die Organisatoren für einen etwas anderen konzeptuellen Ansatz. Vielleicht aus dem Bedürfnis heraus ein schon lange existierendes und funktionierendes Format erneut zu dekonstruieren (Sex sollte nie zur Routine werden !!!) wurden das Workshop-Programm und die Liste der Dozenten bis zum Beginn des Festivals geheim gehalten. Am ersten Festivalmorgen schien dann auch die Luft zu zittern vor Aufregung. Dann wurden der Zeitplan und die Beschreibungen der Dozenten ausgegeben und das Thema des Festivals schien sich zu enthüllen; im Grunde aber blieb der tatsächliche Inhalt der Workshops weiterhin verborgen – alle Workshops hatten lediglich verschiedene Tugenden als Titel. Das Publikum war so gezwungen Instinkt und Sinne zu gebrauchen; sich zu fragen welche Qualitätenen es denn gerne nähren oder entdecken möchte. Da dieses Jahr alle workshops jeweils einmal täglich stattfanden bestand auch die Möglichkeit praktisch an allen Workshops teilzunehmen.

 Während der Mittagspause im italienischen Restaurant nebenan befragte ich einige Leute über ihren Hintergrund und frühere xplore-Erfahrungen. Eine Frau die das dritte Mal dabei war erklärte daß das was einen großartigen Workshop ausmacht vor allem die ureigene persönliche Reise ist – nämlich ob sie selbst in der Lage ist die Intimität und die Verbindung zum Partner oder der Gruppe herzustellen. Im Rückblick kann ich das nur bestätigen. Ich behalte das im Hinterkopf wenn ich jetzt einige meiner Workshoperfahrungen beschreibe:


 TAPFERKEIT – “Eine andere Pornographie ist möglich”

Gala Vanting ist eine leidenschaftliche, junge, queere und feministische Pornodarstellerin die entschieden hat die Art wie Menschen Porno betrachten und erleben zu hinterfragen und zu ändern.  Das Problem der Repräsentation im Mainstream-Porno, sowie seine kapitalistische und patriarchalische Natur im Blickwinkel, wünscht sie sich eine Demokratisierung von Porno. Dies bedeutete daß wir in praktischer Umsetzung im Workshop unser eigenes pornographisches Material (Bilder, Videos) produzierten, unter zu Hilfenahme nicht-professioneller Kameras und Smart Phones etc (Die Demokratisierung der Produktionsmittel schien auch hier relevant!). Wir wurden eindrücklich dazu aufgefordert kritisch zu beobachten wie wir Menschen anschauen, das Pornographische im Alltäglichen und Verborgenen zu suchen und uns nicht vor “unschmeichelhaften Bildern” zu fürchten. Die Idee dahinter war: “Da die Art und Weise wie wir ficken oft roh und schmutzig ist” sollte sich dies auch in der Pornographie die wir produzierten spiegeln. Während ich anfangs durch das ganz Konzept etwas eingeschüchtert war wurde es dann zur amüsantesten Erfahrung des ganzen Festivals. Ich spielte die Rolle einer Pornoregisseurin die einen männlichen “Pornostar” dirigierte, der eine starke Zuneigung zu seinen roten hockhackigen Schuhen hegte. Ebenen von Parodie verflochten sich mit der konkreten Ehrlichkeit der Bilder; die Chemie zwischen uns ermöglichte ein überraschend gutes Endergebnis – ein langsames, sinnliches Video über einen Jungen der aufwacht und entdeckt das er abgefahrene rote High Heels trägt, und wie er dann mit ihnen auf in die Wildnis zieht…. Soweit ich mich umschauen konnte (und logischerweise war das nicht viel!) sah ich Leute leicht und schöpferisch in ihre Rollen und Aufgaben vertieft. Letztendlich kann nichts schief gehen wenn man aufgeschlossenen Leuten die Gelegenheit gibt in einem Setting voller Sex und Humor mit der Kamera zu spielen.


 FLUIDITÄT –  “Ich fühlte mich geliebt”
 
Christine Borch’s Fluidity Workshop ermutigte eine ganz andere Art von Zusammenarbeit – sechs nackte Freiwillige lagen im Zentrum des Raumes, an allen saugte ein freundlicher Blutegel. Diese sechs wiederum wurden ihrerseits von uns anderen umrundet die wir diese explizit intime Interaktion zwischen Mensch und Tier bezeugten. Christine interessiert sich nach eigenem Bekunden für die  Beziehung von Mensch und Natur, oder genauer wie Menschen letztere (miss)brauchen. Ihre ritualistische Performance (oder Heilungszeremonie?) kann als Versuch gesehen werden uns die Natur näher zu bringen – sie glaubt, daß der Egel uns etwas lehren kann, daß er mit uns arbeitet. Tatsächlich ist es das Tier selbst das entscheidet wo es zubeisst um zu saugen. Dem Workshop gelang es diverse symbolische Elemente anzusprechen und miteinander zu verknüpfen: Die Bedeutung von Blut als Mittel der Kommunikation und des Austausches, der Blutegel selbst als ziemlich mystische Kreatur die irgendwie im Dazwischen haust – ein Hermaphrodit der mit beiden Enden seines Körpers Blut saugen kann. Ich kann gar nicht beschreiben was für ein Genuss es war die zufrieden voll gesaugten Egel zu betrachten, die nach erfolgter Aktion im Wasser einer großen Glasschlüssel einen sprichwörtlichen Tanz voller Lebenskraft und Freude aufführten.

 Es war eine sowohl lehrreiche als auch meditative Erfahrung. Während am Anfang die Atmosphäre noch gespannt und unruhig war, schien es später als ob auch die Beobachter in den Zustand von Versunkenheit gerieten im dem sich die sechs Freiwilligen befanden. Das Geräusch eines leichten Sommeregens schlich sich in den Raum und die Leute wurden stiller und nachdenklicher; manche legten sich lang und schlossen die Augen. Später berichtete eine strahlende junge Französin, an deren Bauch ein Egel gesaugt hatte, daß es ihr wie eine Initiation in weisse Magie vorkam: Ihre Traurigkeit hatte sich mit Hilfe des Blutegels in Glück verwandelt. “Ich fühlte mich geliebt” lautete ihr Satz, der immer noch in mir nachklingt.

 FLEXIBILITÄT – “Jetzt seid ihr dran!”
 
Eine etwas ängstliche Menge wartet in einem Vorraum. Plötzlich hören wir von der anderen Seite des Raumes etwas das wie das Deklamieren eines Manifests klingt. Eine laute Frauenstimme ruft: “To Penetrate! (Penetrieren!)” …gefolgt von einer Männerstimme: “... To be penetrated (Penetriert werden!)” …. “To crack! (Zu Brechen!)”…“ To be cracked!(Gebrochen werden!)”  Weitere Ausrufe von Verben die Penetration implizieren oder bedeuten folgten. Die schon schon aufgeregte Menge wird noch unruhiger als wir die Aufforderung erhalten uns nun für eine Seite des Saals zu entscheiden - je nach dem ob wir Penetrieren oder Penetriert werden wollen… Dieses war der Beginn des Workshops in dem Frauen Männer in den Arsch ficken.

 Etwas später in dem großen Raum: Eine starke attraktive “Frau” in hohen Schuhen, mit Afro-Perücke und  schwarzglänzendem Umschnall-Dildo trifft auf einen gutaussehenden “Mann” der nur ein kurzes Netzhemd trägt und an einen jungen griechischen Gott denken lässt. Die Frau verführt den Mann und legt ihn rücklings auf einen Tisch in der Mitte des Raumes. Sie beginnt ihn zu streicheln und zu massieren, sie stimuliert seinen Schwanz… und dringt kurz darauf langsam mit ihrem umgeschnallten Dildo ihn in ein. Sie weiß was sie tut – der flexible und sehr erregte Mann stöhnt vor Vergnügen. Sie fickt ihn hart… Aber diese magische Begegnung ist so schnell vorüber wie sie begann und Stella Nehra erklärt pädagogisch und etwas steif: “Jetzt seid ihr dran!” Wir lachen nervös.

Das Gezeigte ging definitivüber die typische Workshop-Demonstration hinaus, es wurde zu einer eigenständigen Performance die den Weg frei machte für etwas sehr Vielversprechendes. Wahrscheinlich war es so kein Wunder daß sich im Anschluss alle schnell und mit Leichtigkeit daran machten sich in Analsex zu versuchen. Schon nach wenigen Augenblicken sah ich rund um mich Dutzende von Frauen große Männer in den Arsch ficken. Der penetrierende Elan gab auch für die Ohren etwas her – schon das bloße Hören der intensiven Geräusche im Raum war geeignet sexuell zu erregen. Ein seltener und berauschender Anblick männlicher Hingabe wurde geboten, eine Dekonstruktion von Geschlechterklischees und eine Feier des Arschfickens.


 HUMOR

Der Titel dieses Workshops beschreibt exakt worum es in einem Seminar zu kollektiver Masturbation geht. Wenn man eine charmante dänische Orgasmusberaterin mit einem Raum voller angeturnter Festivalbesucher mit liberalen Ansichten zusammentut kommt genau das dabei heraus – viel Gelächter.

Nachdem sie zuerst einlud einen Platz zu finden und uns auf unser Handtuch zu legen erörterte Pia Struck was einem gelungenen Orgasmus vorangeht – wie wir uns selbst anfassen sollten, wie wir mit unserem Atem, unserer Wirbelsäule, unserer Stimme und unserer Muskulatur arbeiten sollten. Dem folgten einige praktische Übungen bei denen wir imitieren sollten jemanden zu ficken – eine todsichere Art Leute zu entspannen und zum Lachen zu bringen. Dann wurde schliesslich “erlaubt” uns selbst anzufassen und dabei unser frisch erworbenes Wissen zu erproben. Die TeilnehmerInnen waren mehr als bereit sich selbst Vergnügen zu verschaffen und nach kurzer Zeit hallten aus allen vier Ecken des Raumes Stöhnen und Lustschreie. An einem gewissen Punkt bat Pia uns mal umzusehen. Meine Partnerin war in voller Aktion - in Neid erregender Weise in ihrer Eigenlust engagiert. Ich hob meinen Kopf und sah die meisten Leute mit echtem Spass bei der Sache, stehend oder liegend, ohne die geringsten Komplexe oder Ängste. Ein trainierter, schwitzender Kerl fiel mir ins Auge – er stand selbstvergessen masturbierend da, mit einem gewaltigen Lächeln im Gesicht. Die Stimmung war wild und befreiend. Es war mir nicht ganz klar ob es Erregung oder Lachen war was mich schüttelte (wahrscheinlich beides).


Natürlich können die hier erwähnten Workshops nur einen kleinen Ausschnitt dessen beschreiben was alles auf dem Festival vorging. Es gab Seminare zu Tanz, Theater und Körperarbeit – Felix Ruckert’s Gegenwärtigkeit, Gustavo Frigerio’s Anmut und Juliette Dragon’s Burlesque Workshop Haltung. Mandy Selina Ronda’s Beitrag zum Thema Geduld widmete sich Berührung und der Erforschung unterschiedlicher Sinne. Es gab Anleitungen zu psychologischen Mind-Games, zu Rollenspiel und Fantasien wie  Seani Love’s Demut und Claudia Fabrizy’s Hingabe. Nicolas Yoroi’s Kreativität war eine intensive Einführung in Bondage und die Kunst hängender Körper. Und die Liste ist noch lange nicht zu Ende. Ich muss betonen daß ich hier lediglich einen sehr subjektiven Eindruck vom Festival wiedergeben kann, welcher vor allem auf meinen persönlichen Interessen und Vorlieben basiert.

 Auch wenn bei xplore der Sex immer explizit gegenwärtig ist, handelt das Festival sicher von weit mehr als nur Sexualität. Xplore sind ungewöhnliche Menschen, sind Kollaborationen und Forschungen vielerlei Art. Es ist sowohl spirituell und reflektiert als auch körperlich und praxisnah. Man hat das Gefühl an etwas Größerem teilzuhaben daß noch lange nachklingt, auch wenn sich die schwarze Tür der schwelle7 längst geschlossen hat. Und es macht auf jeden Fall wahnsinnig viel Spaß.

 Ich erinnere mich an einen anderen Moment während des Festivals: Ich sitze auf der Terrasse, Seite an Seite mit einer neuen Bekanntschaft – einem perfekt modellierten jungen Mann von exzentrischer Natur und mit absurdem Haarschnitt. Wir plaudern und er sagt mir: “Dir ist klar, daß Du jetzt verwöhnt bist? Es wird nicht besser als dies. Niemals. Nirgendwo.” Ich fühle Befriedigung und Panik zugleich.